Düssseldorf, 24. Mai 2024
"Seit 1999 gab es einen ungeheuren Aufstieg der Psychotherapie in Deutschland, um den uns andere Länder beneiden.
Besonders gefreut hat mich, dass auch die PTK der Umsetzung der digitalen Entwicklung im Gesundheitswesen durch das DigiG und das GDNG weiterhin kritisch gegenüber steht. Es freut mich, dass Kritik jetzt mehr Platz hat. In den Medien wird leider überwiegend positiv und unkritisch dazu berichtet, so dass die massiven Wirtschaftsinteressen Dritter als Motor dieser Datennutzung den Menschen gar nicht bewusst wird. Dies stellt ja auch der Ausschuss Digitalisierung in seinem Bericht fest.
Es ist gut, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nun wohl besonders von ihren Krankenkassen informiert werden müssen, dass sie automatisch eine elektronische Patientenakte erhalten werden, wenn sie nicht widersprechen. Aber wer wird das bis ins Detail verstehen, welche Folgen es hat, ob nicht Nachteile damit verbunden sind zu widersprechen oder welche Folgen es hat, wenn man nicht widerspricht und die Daten auch auf europäischer Ebene zweckfremd verwertet werden können. Ich möchte auf eine Möglichkeit hinweisen, unsere Patienten selbst gut
Aber wer wird das bis ins Detail verstehen, welche Folgen es hat, ob nicht Nachteile damit verbunden sind zu widersprechen oder welche Folgen es hat, wenn man nicht
widerspricht und die Daten auch auf europäischer Ebene zweckfremd verwertet werden können.
Ich möchte auf eine Möglichkeit hinweisen, unsere Patienten selbst gut zu informieren. Vor gut zehn Tagen ist ein gut verständliches Büchlein erschienen: „Die elektronische Patientenakte – Das
Ende der Schweigepflicht“. Der Autor Dr. Andreas Meißner ist ein Psychiater aus München, in der Thematik seit seiner erfolgreiche Petition 2020 aktiv und bewandert. Das kann man gut im
Wartezimmer auslegen. Ein paar Exemplare hätte ich für 7 statt 10 Euro abzugeben. Ansonsten auch einen Flyer zur weiteren Info.
Betonen möchte ich: Es geht nicht um Digitalisierung, die wollen wir alle nicht mehr missen. Es geht um die Datenverwertung. Wenn wir die zulassen wie geplant, dann könnten in zehn Jahren
Psycho-Historiker titeln: "Über den Aufstieg und den Niedergang der Psychotherapie in Deutschland am Anfang des Jahrtausends". Denn das Vertrauen als Grundlage psychotherapeutischer Arbeit ist
dann dahin.
Vielen Dank!"
...Patientendatenschutz und Schweigepflicht werden geopfert, zuerst im Rahmen der noch verschlüsselten elektronischen Patientenakte (ePA) und der TI, langfristig aber durch dynamisch erhobene Daten aus der Praxis. Man will mit alldem KI trainieren
( t1p.de/e0z3e). Für unsere psychotherapeutische Arbeit spielen v.a. die folgenden Aspekte eine wichtige Rolle:
1. Aspekt Qualitätssicherung (QS)
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) verfolgt den Ansatz, einen eigenen QS-Ansatz zu entwickeln, um die sehr komplizierte und aus fachlicher Sicht nicht auf Verbesserung der Qualität
ausgelegte QS, wie sie vom IQTIG (Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen, dem Gemeinsamen Bundesausschuss unterstellt, also dem Ausschuss, der die Durchführungsrichtlinien für
die Vertragsärzte und -psychotherapeuten beschließt) entworfen wurde, vielleicht noch zu verhindern. Es wird spannend, welche Chancen es dazu gibt und wie es hier mit der Absicht der
Bundesregierung aussieht, mit den gewonnenen strukturierten Daten eine KI zu trainieren und welche Wege gefunden werden, um diese Daten doch zu bekommen.
Seit 15.12.22, seit dem Abschlussbericht des IQTiG ist nichts mehr passiert bzgl QS. Man könnte mutmaßen, dass abgewartet wird, bis per aktuell in der parlamentarischen Phase befindlichen Digitalisierungsgesetzen festgelegt wurde, dass man auf die Daten auf dem Praxisverwaltungssystem jeder Praxis zugreifen kann (über den Umweg des Forschungsdatenzentrums, wo schon jetzt Abrechnungsdaten der Krankenkassen hingeleitet werden, im Klartext, ohne Pseudonymisierung).
Für mich war beim Lesen des IQTIG-Zwischenberichts (t1p.de/81ygy) das Erschütterndste, dass bei den Qualitätsindikatoren
ausgerechnet die therapeutische Beziehung – obwohl als wichtiger Indikator vom IQTIG herausgefunden und anerkannt – herausgelassen werden sollte, angeblich, weil man mit den zur Verfügung
stehenden Mitteln die therapeutische Beziehung nicht beurteilen könnte.
Inzwischen halte ich es für möglich, dass dieser Qualitätsindikator herausgenommen wurde, weil eine Künstliche Intelligenz damit nichts anfangen könnte? (Inzwischen erfahren: Grund war ein anderer. Wirkung bleibt aber. Anm. RT vom 2.4.24) So wird die therapeutische Beziehung als Wirkfaktor außen vor gehalten und irgendwann nicht weiter erwähnt, gerät in Vergessenheit. Mit KI ließe sich das leidige Thema der Wartelisten endlich lösen, so vielleicht die Hoffnung der Politik. Jens Spahn sprach ja in seinem Buch "App vom Arzt" bereits vom Avatar als Therapeut. Wenn sich dann niemand erinnert, was Psychotherapie eigentlich mal hieß, kann man sich ja nicht beschweren. M.E. sollten wir auf den Mangel immer wieder hinweisen, dass eine QS ohne diesen Qualitätsindikator "therapeutische Beziehung" unbrauchbar ist.
2. Beratungen über das DigiG (Digitalgesetz) und das GDNG (Gesundheitsdatennutzungsgesetz) sowie Europagesetzgebung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS)
Gut, dass wir die Resolution vom 03.12.2022 mit dem Titel "Patientenrechte bei elektronischer Patientenakte und im geplanten "Europäischen Raum für Gesundheitsdaten" wahren und schützen" haben
(t1p.de/0imle).
Ich frage mich aber, ob das ausreicht. Was können wir noch mehr tun? Es ist offensichtlich, dass die Bundesregierung das Opt-Out einführt, damit die meisten eine ePA bekommen, man die Daten daraus verfügbar machen kann. Die Regierung will mit Gesundheitsdaten in das Trainieren von Künstlicher Intelligenz investieren, und die Europäische Kommission ebenfalls.
Psychotherapie wird dabei zu den interessantesten Feldern gehören. Karl Lauterbach hat in der Data for Health Conference in Berlin im Juni 2023 davon gesprochen, dass neue KI-Systeme Daten dadurch generieren könnten, dass sie beim Patientengespräch zuhören würden. Zeit mit Patientinnen und Patienten zu verbringen, erzeuge demnach gleichzeitig strukturierte Daten: "Wir gewinnen die Daten also auf ganz neue Art, während wir miteinander interagieren." Dabei befürchtet Lauterbach durchaus Widerstand: "Es wird einen Kulturkrieg geben. Eine kleine laute Minderheit wird sich dagegen auflehnen, aber die Regierung inklusive des Kanzlers ist fest entschlossen, hierfür die Regeln zu ändern, eine viel bessere Verfügbarkeit der Daten zu gewährleisten, um sie ethisch und verantwortungsvoll für wissenschaftlich spannende Projekte zu nutzen."
(YouTube: t1p.de/mjfwf, 1. Ausschnitt: h 4:35, 2. Ausschnitt: h 4:45 oder hier nur die kurzen Ausschnitte downloaden: Ausschnitt 1, Ausschnitt 2, ext. Links)
Das klingt nicht gerade nach demokratisch üblicher Debattenkultur. Diese ganze Thematik wird an den Bürger*innen vorbei verhandelt. Die Medien berichten meist nur positiv über einen scheinbar erfreulichen Fortschritt. Prof. Gerlach, unter Spahn Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit, spricht in der Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss zu den beiden neuen Digitalgesetzen DigiG und GDNG (Bundestags-Mediathek t1p.de/vxx25 Min 38) ganz selbstverständlich über die Anwendung von KI auf diese Daten. Er warnt davor, Daten aus der ePA zu löschen und sagt: "Und denken Sie auch an die Zukunft: Die KI kann nicht trainiert werden, wenn die Daten nicht vollständig sind."
Übrigens spricht er ein paar Sekunden später auch von Behinderung der Qualitätssicherung, wenn etwas gelöscht würde. Das wird offenbar im direkten Zusammenhang gesehen. Da geht also die Reise hin.
Vor über fünf Jahren wurden wir als Praxisinhaber*innen erstmals mit der Verpflichtung konfrontiert, die TI zu installieren. Szenarien wie Opt Out oder Befüllungspflicht waren damals nicht absehbar. Jetzt kommt die vorstrukturierte, in Nullen und Einsen ausdrückbare Qualitätssicherung, dann die Dokumentationspflicht im PVS und deren automatisches Ausgelesenwerden, offiziell um den Behandlern Arbeit zu ersparen. Es werden scheibchenweise neue Pflichten und Zwänge hinzugenommen.
Diese Strategie – unter heftigem Schönreden (z.B. mit dem Slogan "Daten teilen heißt heilen"), appellieren an die Solidarität, wer sich nicht solidarisch zeigt und seine Daten für sich behalten möchte, sollte von der Solidargemeinschaft der Versicherten nicht mehr profitieren dürfen. Selbst ein Vergleich mit dem Mut der DDR-Aufständler am 17. Juni 1953 wurde gezogen, weshalb man das Datum 17. Juni 2021 für die Vorstellung des Sachverständigengutachtens in Form eines Symposiums gewählt hatte (t1p.de/tltmm). Diese Strategie war schon bei Gesundheitsminister Spahn in seiner Gesetzeskaskade zur Digitalisierung erkennbar und wird von Lauterbach weiter geführt, der ja im Gesundheitsausschuss der großen Koalition der letzten Legislaturperiode auch schon beteiligt war.
Unsere Wirksamkeit für unsere Patient*innen lebt von der Verschwiegenheit und dem absoluten Vertrauen unserer Patienten darauf, dass wir nichts weiter geben. Wir stellen den geschützten Raum zur Verfügung, in dem sich unsere Patient:innen öffnen können, ohne schädliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Ich wünsche mir erstens, dass unsere berufsständische Vertretung alles dafür tut, um diese Grundvoraussetzung unserer Arbeit zu erhalten, auch dafür eintritt, dass die Sanktionen
gegen die nicht an die TI Angeschlossenen aufgehoben werden. Ich wünsche mir zweitens, dass alle Kolleg*innen darüber informiert werden, dass es einen Paradigmenwechsel im Umgang
mit Patientendaten gibt, weg von der informationellen Selbstbestimmung und der ärztlich-psychotherapeutischen Schweigepflicht hin zum umfassenden Datensammeln, um KI damit zu trainieren.
Eine Pseudonymisierung der Daten hilft nicht, weil sie rückverfolgbar sind. Erst wenn Kolleg*innen wirklich im Detail wissen, was das bedeutet, können sie eine informierte Entscheidung treffen, ob sie an die TI angeschlossen bleiben wollen.
Ich wünsche mir drittens, dass wir diese Vorgänge gemeinsam reflektieren, wie unser Beruf bzw. Psychotherapie mit Wirksamkeit durch die therapeutische Beziehung zwischen zwei
Menschen unter solchen Umständen zu erhalten wäre und ob Psychotherapie nicht einen Sonderstatus benötigt.
In Österreich wurde Psychotherapie aus der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA ausgenommen, und zwar "weil man dabei den Datenschutz erhalten wollte". Das hat mir eine österreichische Kollegin wörtlich so mitgeteilt. Ich wünschte mir, dass dies auch in Deutschland so umgesetzt wird.
Vor zehn Tagen teilte ein Europa-Abgeordneter auf seiner Webseite (t1p.de/ig6tz) mit, dass auf EU-Ebene ein Gesetz auf dem Weg zur Verabschiedung am 6.12. ist, das eine Zwangs-elektronische Patientenakte für alle vorsieht, ohne jegliche Widerspruchsmöglichkeit. Das überbietet dann auch die deutsche Gesetzgebung und wäre höherrangig. Wir müssten uns dem fügen. Das beunruhigt mich sehr. Wie sieht der Vorstand diese Prozesse über die bekannte Resolution vom Dez 2022 hinaus? Und wie sieht es damit auf Bundesebene aus?"
Eine abschließende Chronologie das Thema betreffender Entwicklungen, Beschlüsse und Positionierungen auf Bundesebene und in internationalem Zusammenhang: