Klimakrise - „Für alle Fälle vorbereitet“?

Verantwortung übernehmen, Vorsorge treffen, Versorgung sicherstellen

Eine Stellungnahme von Benedikta Enste - Fraktionsvorsitzende des Bündnis KJP

 

Zwei Tage Starkregen im Juli 2021 in NRW und Rheinland Pfalz reichen aus für eine Flutkatastrophe mit weit über hundert Toten, zahlreichen Verletzen, unfassbaren Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur, Schäden in Milliardenhöhe.

 

Was, wenn ich selbst unmittelbar betroffen wäre? Wenn meine Wohnung, mein Zuhause von einem Tag auf den anderen verschwunden wäre, weggerissen von den Fluten, verschlammt, sämtliche Gegenstände, Erinnerungen, Fotos, Papiere einfach alles weg - wie bei meiner Schwägerin in der Eifel. Oder wenn meine auch in Flussnähe liegende psychotherapeutische Praxis genauso zerstört worden wäre wie die kinder- und jugendpsychiatrische Praxis meines Kollegen nur ein paar hundert Meter entfernt? Patientenakten, Einrichtungsgegenstände, elektronische Geräte – alles verschwunden, unbrauchbar, kaputt; das Gebäude mit drei Arztpraxen wegen Einsturzgefahr inzwischen abgerissen. Was, wenn Angehörige, Freund:innen, Patient:innen gestorben wären? - Dieses Mal habe ich persönlich Glück gehabt. Und beim nächsten Mal?

 

Extremwetterereignisse werden im Zusammenhang mit der Erderhitzung häufiger auftreten. Kopf-in-den-Sand, Et-hätt-noch-immer-jot-jejange, Verdrängung, Verleugnung, Bagatellisieren funktionieren nicht mehr, Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefert sein lähmen. Also: Was kann ich tun? Wie können wir vorsorgen, vorbeugen, uns und andere schützen? Wie können wir unsere Patient:innen begleiten, wenn sie von Unwetterschäden betroffen sind , Verluste erlitten haben und in der Folge vermehrt psychische Belastungssymptome auftreten? Wie kann der erhöhte Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung aufgefangen werden?

 

Besonders in Rheinland Pfalz beeindruckt die gut und rasch organisierte Hilfe nach der Flutkatstrophe durch die Landeskammer, unterstützt von der Landesregierung (z.B. durch finanzielle Förderung), und vor allem das oft ehrenamtliche Engagement von Kolleg:innen bei der Einrichtung eines Notfalltelefons, Online-Hilfsangeboten und dem kurzfristigen Bereitstellen von zusätzlichen Psychotherapieplätzen zur Akutversorgung.

In NRW können Kolleg:innen zurückgreifen auf die in Fortbildungen der Kammer zur Notfallpsychotherapie und zu Interventionen bei Großschadensereignissen erworbenen Kenntnisse zur Unterstützung der Betroffenen. Derzeit wird mit den Kassenärztlichen Vereinigungen verhandelt über Ermächtigungen für Psychotherapeut:innen, insbesondere für Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeut:innen , um den um 40 bis 60 % gestiegenen Bedarf an Psychotherapie allein durch die Corona-Krise etwas besser gerecht werden zu können.

 

Ähnliches ist auch im Fall von Großschadensereignissen wie klimabedingten Naturkatastrophen vorzusehen. Resolutionen der Landeskammern fordern genau dies, denn in Zukunft werden Großschadenslagen auch aufgrund der Klimakrise häufiger und mit gravierenderen Folgen eintreten, auch für die psychische Gesundheit. Konzepte zur Verbesserung der notfallpsychotherapeutischen Versorgung müssen gemeinsam mit den dort tätigen Berufsgruppen wie Polizei, Feuerwehr, Notfallseelsorge weiterentwickelt und strukturell verankert werden. Hierzu finden von berufspolitischen Akteur:innen Gespräche mit den politischen Entscheidungsträger:innen auf Landes- und Bundesebene statt. Gerade auch die mittel- und längerfristig notwendige psychotherapeutische Versorgung von Betroffenen darf dabei nicht außeracht gelassen werden, da psychische Folgestörungen oft erst zu einem späteren Zeitpunkt sichtbar werden.

 

Was aber kann, sollte, muss ich persönlich tun? Wie gut bin ich auf Katastrophen vorbereitet? Als Praxisinhaberin: Habe ich die Patient:innen-Daten separat auf einer externen Festplatte gesichert, die an einem anderen Ort datenschutzkonform aufbewahrt wird? Wo sind meine Passwörter gespeichert, sicher und zugleich auch für eine benannte Vertrauensperson auffindbar, z.B. wenn man selbst geschädigt, verletzt oder verstorben wäre? Habe ich dazu eine entsprechende Verfügung erstellt?  

Als Privatperson: Bewahre ich Kopien der wichtigsten Dokumente an einem anderen sicheren Ort auf? Sind Originaldokumente, Lieblingsfotos, die wichtigsten Erinnerungsstücke im Falle einer kurzfristig nötigen Evakuierung (z.B. auch bei den häufigen Bombenfunden in Städten wie Köln) in einer Tasche griffbereit? Habe ich Dokumente eingescannt, auf USB-Stick gespeichert oder in einer Cloud hochgeladen?

 

In der NINA-Warn-App gibt es Empfehlungen, welche Vorkehrungen getroffen werden sollten für Stromausfall, Trinkwasserverunreinigung, Katastrophenfälle. Auf den Seiten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe lese ich, welche Erwartungen an einen Erwachsenen in Sachen Verantwortung und Notfallvorsorge gestellt werden: „Für alle Fälle vorbereitet“ - z.B. Notvorräte für 10 Tage vorhalten.

 

Ich gebe zu, dass es mich einige Überwindung kostet, mich mit diesen Themen zu beschäftigen, dass ich einen inneren Widerstand spüre, als rückten Katastrophen gerade dadurch näher und würden wahrscheinlicher, wenn ich mich damit konkret beschäftige. Aber ist es nicht andersherum sinnvoller? Bin ich nicht „Besser vorbereitet dank gedanklicher Stresstests“ (www.bbk.bund.de), so wie es auch bei Feuerwehr, Polizei , Nothelfer:innen eingeübt wird? Bin ich nicht beruhigter, sicherer, wenn ich weiß was, im Notfall zu tun ist und kluge Vorkehrungen getroffen habe, um möglicherweise eintretende Schäden abzumildern? In der Hoffnung, nicht in eine Lage zu kommen wie jetzt Menschen auf La Palma, die mit Psycholog:innen in ihre von der Lava bedrohten Häuser gehen und in mehr oder weniger kurzer Zeit entscheiden müssen, was sie mitnehmen (Tipp: „Papiere und persönliche Dinge, die man nicht im Laden kaufen kann.“). Mit Trauer verbunden, aber immer noch besser als plötzlich und unvorbereitet das Wichtigste zu verlieren wie viele Menschen im Ahrtal.

 

Andererseits: Ich will auch nicht, dass mein Leben nun von ständigen Katastrophenvisionen geprägt wird, die mich zu übertriebenem prepperähnlichem Jahres-Vorräte bunkernden Verhalten drängen. Aber eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema, die Aneignung von Kenntnissen, das Erwerben von Kompetenzen für angemessene Vorsorge und besonnenes Verhalten in Notfallsituationen, das kann ich wohl schon von mir als Erwachsener verlangen. Schließlich üben in Japan bereits Kindergartenkinder regelmäßig Verhaltensabläufe bei Erdbeben ein. Sollten auch wir vielleicht unsere Kinder und Jugendlichen stärker mit Vorsorge- und Notfallkonzepten vertraut machen? In der Mehrheit äußern sie ja Angst und Sorge vor zukünftigen Klima-Katastrophen. Auf spielerische Weise können sie auf der Seite des Bundesamtes BBK in interaktiven Formaten virtuell auf Notlagen und Katastrophen vorbereitet werden und ein „Digitales Notfalltraining für junge Menschen online“ absolvieren: www.bbk.bundde/notfalltraining. Interessant und hilfreich, auch für uns Erwachsene.

 

Wir müssen Verantwortung übernehmen, Vorsorge treffen und als Psychotherapeut:innen die psychotherapeutische Versorgung sicherstellen, auch und gerade bei Naturkatastrophen und Großschadenslagen. Das steht fest! Gleichzeitig gilt es intrapsychisch den Spagat zwischen Katastrophen einkalkulierender, sinnvoll-angemessener Voraussicht und dem Bewahren eines optimistisch-hoffnungsvollen positiven Lebensgefühls zu meistern, d.h. Ambiguitätskompetenz zu entwickeln. Das geht vielleicht am besten mit dem Wissen, für alle Fälle gut vorbereitet zu sein.


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"Für alle Fälle vorbereitet?"
Verantwortung übernehmen, Vorsorge treffen, Versorgung sicherstellen - Benedikta Enste
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