Ein Kommentar von Benedikta Enste.
Es ist soweit.
Knapp 50 Grad Celsius in Kanada, Brände in Kalifornien, Erdrutsche in Japan, Überschwemmungen in Landshut – um nur einige der Schlagzeilen einer einzigen Woche Ende Juni 2021 zu nennen. Ach ja, Dürre in Madagaskar mit Hungersnöten nicht zu vergessen, schmelzende Gletscher und auftauender Permafrostboden und …und ...und...
Und wir hier in Deutschland? Die Flutkatastrophe im Juli in Nordrhein-Westfalen und im Ahrtal mit 181 Toten, die völlige Zerstörung von Häusern und der kompletten Infrastruktur haben uns schmerzlich bewusst gemacht, dass auch wir hier unmittelbar und schon jetzt betroffen sind von der Klimakrise und ihren dramatischen Auswirkungen. Im Juni mögen viele von uns noch gedacht haben, erstmal mal schauen, wie heiß dieser Sommer wird, manche kauften prophylaktisch eine Klimaanlage fürs Schlafzimmer. Und sie beruhigten sich vielleicht damit, dass die Regierung ja Gesetze für besseren Klimaschutz verabschiedet und Klimaziele für die Zukunft im Jahr 2045 verschärft, das sei doch schon mal was. Gut, im Wetterbericht ist von „Hitzedom“, schwächelndem Jetstream, zunehmenden Wetterextremen die Rede.
Aber gab es das nicht schon immer mal? Oder: Wenn es so schlimm ist, kann man ja sowieso nichts mehr machen. Was kann ich persönlich dafür? Und was kann, was soll ich dagegen tun? Gab es nicht immer schon Hungersnöte in Afrika mit der dortigen Überbevölkerung? – Verharmlosung, Verleugnung, Bagatellisierung, Fatalismus, Zynismus, Verkehrung z.B. Vorwurf an die Mahnenden als die Schuldigen für die neue „Klimaangst“, Verdrängung, aber auch Gefühle von Erschöpfung, Ermüdung, Überdruss, Hilflosigkeit, Besorgnis, Ohnmacht, Angst, Wut sind Reaktionen auf die Tatsache des Klimawandels und den damit verbundenen dramatischen Folgen.
„Laut 18. Shell-Jugendstudie benannten junge Menschen zwischen 12 und 25 Jahren die Umweltverschmutzung als ihre Hauptsorge und 65 Prozent der Kinder und Jugendlichen machten sich Sorgen wegen der Erderhitzung. Umwelt- und Klimaschutz gehört für junge Menschen zu den wichtigsten Problemen unserer Zeit.“*
13,75 Millionen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren leben in Deutschland. 24,09 Millionen Menschen sind über 60 Jahre alt. (2020; Statista) Das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt 44,5 Jahre (2019).
Im Jahr 2050
Die Mehrheit der 60 + Menschen wird in 30 Jahren nicht mehr leben. Die jetzige Kinder- und Jugendlichengeneration schon. Sie sind dann 30, 40, 50 Jahre alt und viele werden selbst Eltern sein. Welche Lebensbedingungen wünschen wir uns für sie? Welchen Gesundheitsrisiken werden sie und ihre Familien ausgesetzt sein? Beherrscht der Kampf um Trinkwasser, um bewohnbare Gegenden unter 50 Grad und die Auseinandersetzung mit Klimageflüchteten ihr Dasein? Oder sind sie selbst Flüchtende? Wie werden Ressourcen regional und global verteilt sein?
Stellen wir uns diesen Fragen. Stellen wir uns den damit verbundenen ambivalenten Gefühlen. Setzen wir uns mit unseren eigenen Reaktionen auseinander. Und finden wir eine Haltung, aus der heraus wir handlungsfähig bleiben und ja, vielleicht auch trotzdem optimistisch, engagiert, neugierig, beweglich, interessiert, kreativ.
Wie kann das gelingen? Meiner Auffassung nur durch den Mut, Liebgewonnenes, Gewohnheiten, Althergebrachtes, Traditionen, vertraute Denkweisen tatsächlich auf den Prüfstand zu stellen. Was sind Beharrungskräfte, die Sicherheit im Bekannten versprechen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz? Wo geht es um mein persönliches Glück, meine Privilegien, meinen Egoismus, meine Freiheit, meine Verantwortung? Was dient lediglich der Besitzstandswahrung? Was ist einfach Routine, liebgewordenes Ritual? Wo kann und will ich umsteuern? Wie bewahre ich meine Handlungsfähigkeit im Einklang mit den Klimaschutznotwendigkeiten und kann durch Übernahme von Verantwortung aktiv Ohnmachtsgefühlen und Abwehrreaktionen entgegenwirken? Wie kann ich selbst gesund bleiben, physisch und psychisch, und andere dabei wirksam unterstützen in meinem persönlichen Umfeld und beruflich als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin? Stichworte hier sind Adaptive und Transformative Resilienz.**
Individuelle und kollektive Ebene
Wenn Ideen zu Verhaltensänderungen im politischen Diskurs reflexhaft als unzumutbarer Verzicht, als Freiheitseinschränkung, als moralapostelhaft denunziert werden, wird die Auseinandersetzung bewusst individualisiert und verschoben auf eine psychologische Ebene. Strategien des Machterhalts und das Durchsetzen z.B. von Wirtschaftsinteressen können so unkenntlich und schwerer durchschaubar gemacht werden.
Andere Taktik: vollmundige, aber wolkig-unkonkrete Versprechungen, sogenanntes „Green-Washing“ von Unternehmen und das `Umarmen´ des politischen Gegners erschweren Transparenz z.B. für Verbraucher:innen bei Kaufentscheidungen. Ja, so funktioniert nun mal Politik. Die richtungsweisenden Entscheidungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, zu erneuerbaren Energien, zum Umgang mit Ressourcen, zu Sozialverträglichkeit von Maßnahmen etc. werden von den politischen Mandatsträgern getroffen.
Aber: Internationale Bewegungen wie Fridays-for-Future zeigen, dass auch Initiativen aus der Zivilgesellschaft eine gewisse öffentliche Wirkmacht entfalten können. So wie kürzlich das durch engagierte junge Menschen erreichte Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die jetzt Regierenden zum Handeln zwingt. Notwendige einschneidende Klimaschutz-Maßnahmen dürfen nicht in unverhältnismäßiger Weise auf die nächsten Generationen verschoben werden, deren Freiheit(!) der Lebensgestaltung dadurch unzumutbar und grundgesetzwidrig eingeschränkt würde.
Am 26.9.2021 haben wir Erwachsene in Deutschland als Wähler*innen die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung der Zukunft, unserer eigenen, aber vor allem die der Kinder und Jugendlichen und deren (Über-) Lebensbedingungen in diesem Jahrhundert. Machen wir etwas Gutes daraus.
* Broschüre | Nr. 10046: Zukunft? Jugend fragen! Umwelt, Klima, Politik, Engagement - Was junge Menschen bewegt. Hrsg. vom Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit; Berlin 2020.
** in Anlehnung an eine Zitation der Psych4Future in: Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis. Rubrik Umweltmedizin: Die Klimakrise als Krise der psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche; eJournal für Mitglieder, Ausgabe 3/2021.
https://www.gpau.de/mediathek/die-zeitschrift/paediatrische-allergologie-in-klinik-und-praxis/
Aufruf zum Globalen Klimastreik am 24. September 2021 und weitere Informationen dazu gibt es HIER:
HIER zur Sache noch weiterführende und informative Links:
Resolution zum Klimawandel - GK II (Psychotherapieverbände Gesprächskreis II):
https://www.vakjp.de/pdf/GK%20II_Klimaresolution.pdf
Zum Bündnis von Psychologists / Psychotherapists for Future (Psy4F):
https://www.psychologistsforfuture.org/
Zum For-Future-Bündnis:
https://www.for-future-buendnis.de/
Zu Klimafakten.de und einem lesenswerten Artikel von Delaram Habibi-Kohlen: